Wieso Marco zurück musste
Leider mussten wir im August Bartgeier Marco zurück fangen, obwohl er bereits ausgeflogen und in guter gesundheitlicher Verfassung war. Verhaltensauffälligkeiten haben uns zu diesem Schritt bewogen, der uns schwergefallen ist, für das Wohl des Jungvogels aber unumgänglich war. Ein kuzer Rückblick soll nochmals aufzeigen, welche Probleme sich bei Bartgeier Marco ergaben und wie es zu dieser Situation kommen konnte.
Marcos Verhalten führte zu gefährlichen Situationen
Im Laufe des Sommers zeichnete sich immer mehr ab, dass Marcos Verhalten ernsthafte Probleme verursacht. Schon vor seinem Erstflug kam es zu einer sehr gefährlichen Begegnung mit einer Gämse. Weil diese Marcos Verhalten als Bedrohung für ihr Kitz wahrnahm, attackierte sie Marco heftig. Denn dieser spreizte seine grossen Flügel ab, anstatt sich zusammenzukauern und aufzuplustern, wie dies junge Bartgeier in ungewohnten Situationen üblicherweise tun. Nur dank grossem Glück verlief dieses Intermezzo glimpflich und Marco blieb unverletzt.
Leider lernte Marco nicht aus dieser Begegnung. Er verhielt sich weiterhin sehr ungewöhnlich: Er landete mitten in Steinbockgruppen und immer wieder sehr nah bei Berggänger:innen. Wurde Marco von Bartgeier Fredueli attackiert, flog er zu unserer Überwachungsstation und suchte hier Schutz. Nur mit Mühe konnten wir ihn jeweils wieder vertreiben. Zudem mussten wir dafür sorgen, dass es nicht zu gefährlichen Begegnungen mit Hunden kam. Als er sich schliesslich bei einer seiner riskanten Aktionen in einem Zaun verhedderte, nutzten wir die Gelegenheit, fingen Marco ein und brachten ihn zur Untersuchung in den Natur- und Tierpark Goldau.
Verhaltensprobleme aufgrund erschwerter Aufzucht
Aufgrund der tierärztlichen Untersuchungen im Natur- und Tierpark Goldau konnten wir ausschliessen, dass eine Krankheit zum auffälligen Verhalten von Marco geführt hat. Die Hoffnung, Marco nach seinem Rückfang ein zweites Mal auswildern zu können, mussten wir daher endgültig begraben.
Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass sich die Aufzucht von Marco im estnischen Zoo Tallinn schwierig gestaltet hatte. Seine Eltern hatten Marco als Küken nicht akzeptiert und konnten ihn nicht versorgen. Das Team vom Zoo Tallinn wollte daher die vom Europäischen Zuchtprogramm empfohlene Methode umsetzen: Die Aufzucht muss in einer Box mit Sichtkontakt zu den Eltern und die Fütterung ohne Sichtkontakt zu Tierpfleger:innen erfolgen. Doch die tiefen Temperaturen in Tallinn verhinderten, dass der Junggeier rechtzeitig in diese Box gesetzt werden konnte. Dadurch hatte Marco offenbar zu lange Kontakt mit Menschen und verlor seine Scheu.
Scheuheit ist zentral für das Überleben
Marcos Zutraulichkeit nahm wie oben geschildert im Verlaufe des Sommers zu. Daher mussten wir davon ausgehen, dass er weiterhin in sehr gefährliche und möglicherweise fatale Situationen geraten würde. Zudem kann es auch für Menschen zu unerfreulichen Begegnungen kommen, wenn ein so grosser Vogel keinerlei Scheuheit zeigt.
Aus diesen Gründen können wir Marco nicht wieder auswildern. Stattdessen werden wir den jungen Bartgeier demnächst in die spanische Bartgeierstation Valcallent transferieren. Dieses Zuchtzentrum hat grosse Erfahrung mit Bartgeiern, die aufgrund von Verletzungen oder Fehlprägungen Probleme haben. Damit stehen die Chancen gut, dass Marco dereinst für Nachwuchs sorgen kann, der ausgewildert werden kann.