Dienstag, 14.05.2024

Von Grossbritannien nach Melchsee-Frutt

Eine erstaunliche Entdeckung haben wir im Rahmen unseres genetischen Monitorings gemacht, die vermutlich viele Ornitholog:innen in Grossbritannien freuen wird.

Freundlicher Besuch am Auswilderungsplatz

Die Entdeckung gelang uns während der Auswilderungsperiode 2023, als uns ein fast erwachsener Bartgeier beim Auswilderungsplatz in der Nähe von Melchsee-Frutt besuchte. Der Besucher interagierte intensiv mit den beiden Jungvögeln Obwaldera und Marco. Er zeigte dabei ein sehr freundliches Verhalten und flog einmal sogar mit Futter zu Bartgeier Obwaldera hin. Er setzte sich neben ihn und begann zu fressen. Dabei bekam Obwaldera auch ein Stück Futter ab. Ob er es selber ergatterte oder ob ihm der freundliche Bartgeier ein «Geschenk» machte, können wir nicht mit Sicherheit sagen. 

Einige Tage später flog der fünfjährige Bartgeier Fredueli ein. Er setzte sich neben den unbekannten Bartgeier und beide blieben etwa eine halbe Stunde lang friedlich nebeneinander sitzen. Doch als ersterer schliesslich abflog, griff Fredueli an und verjagte ihn nach einem heftigen Kampf.

Eine Feder bringt Erstaunliches ans Licht 

Am nächsten Morgen fanden wir an der Stelle, wo sich diese Interaktion ereignet hatte, eine kleine Feder. Die genetische Analyse dieser Feder erbrachte eine grosse Überraschung: Sie stammt vom Weibchen Flysch-Vigo, die 2019 in den Hochsavoyen ausflogen war. Sie war der zweite Bartgeier, der einen Ausflug nach Grossbritanien unternommen hatte, und erlangte in der britischen Vogelszene grosse Bekanntheit1. Denn das Weibchen blieb knappe vier Monate auf der Insel, was einiges länger ist als üblich, wenn Bartgeier nach Norden fliegen. Auch in Grossbritanien hatte man damals eine kleine Feder gefunden, die die Herkunft der Besucherin verriet. 

Flysch-Vigo hat Gefahren gemeistert

Die letzte Beobachtung von Flysch-Vigo gelang im Oktober 2020, als sie von der Küste Grossbritaniens aus nach Süden aufs Meer hinausflog. Ob der Bartgeier den Rückflug aufs Festland und zurück in die Alpen geschafft hatte, wussten wir bisher nicht. Ausflüge in Regionen, die für Bartgeier ungeeignet sind, bergen viele Gefahren. Hier sind die Bedingungen der Thermik meist schlechter als im Alpenraum und zudem ist es für die Geier viel schwieriger, ausreichend Futter zu finden. 

Dass Flysch-Vigo diesen Ausflug erfolgreich gemeistert hat und nun wieder heil zurück in die Alpen ist, ist für die Geierwelt eine kleine Sensation! Vielleicht lässt sich die Weltenbummlerin sogar in der Zentralschweiz nieder? Auf jeden Fall hoffen wir, dass es uns gelingt, das Schicksal von Flysch-Vigo weiter verfolgen zu können.

1Phipps, L., Loercher, F., Ball, D. & Marlé, E. 2021. Genetic analysis reveals the origin of a Bearded Vulture in northern Europe in summer 2020. Br. Birds 114: 33-–37.

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